Wenn sich Begegnungen schwierig gestalten und unser Hund “von Null auf Hundert” nach vorne schießt, liegt diesem Verhalten oft die vermeidungsorientierte Aggression zugrunde. Aus unserer Sicht ist so eine Verhaltensweise meist untragbar, aus Sicht unseres Caniden jedoch völlig verständlich. Warum, erfährst du hier!
Drohverhalten eines Hundes
Bevor wir näher darauf eingehen, ist es wichtig, einen kurzen Exkurs in das Drohverhalten eines Hundes zu machen.
Hunde drohen stufenweise. Manchmal ist die erste Stufe für uns gar nicht so deutlich zu erkennen, da sie innerhalb kleiner Bewegungen, Mimikveränderungen oder Verhaltensweisen stattfindet. So ist bei einem Hund, der gut sozialisiert ist und die Hundesprache beherrscht, die erste Stufe meist harmlos. Durch Ohrenanlegen, Blickabwenden, Licking Intention (Lecken über das Maul) usw. sagt er, „Bitte komm nicht zu nahe, ich möchte das nicht!“. Ignoriert nun aber der Empfänger diese Signale völlig und geht weiter in den Kontakt, wird Stufe 2 erkennbar: Die Botschaft wird also deutlicher gesagt. Das kann durch intensiveres Zeigen der Stufe 1 passieren, aber auch bereits durch deutliches Schnappen am Auslöser vorbei (also in die Luft), kurzes Knurren, Zähneblecken, Naserümpfen uvm. Wenn diese Signale wiederum keinen Anklang finden, muss der Hund wohl noch weitergehen, nämlich zu Stufe 3, die dann nicht mehr so harmlos aussieht. Dabei ist aber zu erwähnen, dass jeder Hund unterschiedlich viele Stufen hat und viele weitere Gestiken gezeigt werden können. Und darin liegt auch die Feinarbeit: Wenn die vorherigen Stufen immer ignoriert wurden und der Hund nur Erfolg hatte, wenn er die vermeintlich „letzte“ (deshalb unter Anführungszeichen, weil die letzte Stufe eigentlich immer Kampf ist) Stufe gezeigt hat, lernt er, dass er die vorherigen Stufen gar nicht mehr zu zeigen braucht; schließlich waren sie ja sowieso nutzlos.
Das kannst du dir ungefähr so vorstellen, wie wenn dir auf offener Straße eine Person zu nahe kommt. Anfangs wirst du sie höflich darauf hinweisen, dass sie bitte nicht so nahe kommen soll, doch wie schnell wirst du vielleicht forscher werden, bevor du es dann doch deutlich durch deine Körpersprache zeigst?
So passiert es schnell, dass ein Hund bspw. an der Leine für uns plötzlich nach vorne schießt, sozusagen von jetzt auf gleich. Dass hier jedoch viele kleine Signale in anderen Situationen angekündigt haben, dass der Hund sich unwohl fühlt, übersehen wir öfter. Da kommt dann die vermeidungsorientierte Aggression ins Spiel.
Sammy will mit Shiela nach dem Spiel nochmals in Kontakt, die jedoch an der Leine keinen mehr möchte. Ihre Körperhaltung zeigt dies deutlich.
Begriffserläuterung
Der Begriff der vermeidungsorientierten Aggression mag zwar anfangs etwas hart erscheinen, erklärt aber sehr gut die Intention des Hundes: Die Aggression orientiert sich zum Auslöser und soll die gewünschte Vermeidung des Kontakts signalisieren.
Wenn dein Vierbeiner also in für ihn unsicheren Situationen mit unliebsamen Personen, Hunden etc. nach vorne schießt und aggressiv wirkt, möchte er seinem Gegenüber eigentlich nur mitteilen, dass er die Distanz beibehalten möchte. Er hat gelernt, dass seine bisherigen Bemühungen, den Auslöser auf Distanz zu halten, keinen Erfolgt hatten, weshalb er halt gleich lieber den Starken, Unnahbaren spielt.
Speziell an der Leine ist der Handlungsspielraum eines Hundes stark eingeschränkt, was dazu führt, dass er nicht so reagieren kann, wie er es ohne Leine tun würde. Würde er so beispielsweise beschwichtigende Signale, wie Bogenlaufen, langsames Annähern usw. wählen, sind wir es, die dieses Verhalten oft unbemerkt unterbinden. Wir laufen “schnurstracks” an anderen Hunden vorbei, ohne dabei auf Distanzen zu achten. So kommt es, dass wir die unhöflichste Form des Annäherns durchziehen: Geradlinig und in schnellem Tempo, mit kurzer gespannter Leine und (dem schmalen Gehweg geschuldet) sehr dicht am anderen Hund vorbeilaufen. Die Hunde an der Leine spielen da jedoch oft nicht mit und es kommt zu ungewollten Auseinandersetzungen.
Hundebegegnungen trainieren
Für einen Hund ist es enorm wichtig, seinem Führer vertrauen zu können und zu wissen, dass dieser ihn sicher durch Situationen führen kann. Damit er genau diese Sicherheit erhält, sollten wir auf gewisse Dinge beim Spazieren achten, gerade wenn es zu Begegnungen aller Art kommt.
Kommen wir deshalb zu den Do´s and Dont´s der Hundebegegnungen:
Was du tun kannst:
Ruhig bleiben
Aufrechte Körperhaltung: Sie vermittelt Sicherheit und Kontrolle. Dein Vierbeiner kann an deiner Körperhaltung ablesen, wie du dich fühlst; wirst du unsicher, verändert sich unbewusst deine ganze Haltung.
Ausweichmöglichkeiten suchen: Straßenseite wechseln, in eine Gasse gehen, eventuell in einem Bogen um den Auslöser laufen
Früh genug ruhig intervenieren: Ein gezieltes Verbotssignal aussprechen, um weiteres Vorgehen zu unterbinden.
Die Blickabwendung vom Reiz in jeder Situation belohnen! Sei es bei Joggern, Radfahrern, Kindern, Traktoren uvm. So findet eine positive Verknüpfung statt.
Ruhiges Verhalten belohnen! Bestenfalls kommt dein Wuff gar nicht in die schlechte Stimmung, sprich er wird belohnt, bevor er das unerwünschte Verhalten zeigt.
Andere Hunde wegschicken: Wenn dein Hund dir zeigt, dass er keinen Kontakt will oder du einfach gerade keine Begegnungen möchtest, schicke den anderen Hund weg und schütze so deinen Hund. Er sieht so, dass du die Situation in die Hand nimmst und sie regelst. Das schafft Vertrauen!
Sollte es zu Begegnungen an der Leine kommen, diese unbedingt locker lassen! Gespannte Leine = angespannte Stimmung. Zudem darauf achten, dass die Leine nach oben gehalten wird, um das Kreiseln der Hunde zu ermöglichen. Notfalls die Leine fallen lassen, wenn es die Umgebung zulässt.
Was du vermeiden solltest:
Nicht in die Stimmung mit einsteigen (kein Anschnauzen, Hochfahren, wildes Gestikulieren), da das deinen Hund in seiner Unsicherheit unterstützt; immerhin ist wirklich etwas an der Situation etwas nicht in Ordnung, sonst würden wir als Mensch ja ruhig bleiben.
Nachtragend sein: Hunde sind niemals nachtragend. Sobald die Situation entspannt ist und die Botschaft angekommen ist, wird der Druck wieder rausgenommen. Deshalb verstehen Hunde auch nicht, wenn man noch ewig böse auf sie ist. Sie reagieren dann zwar auf unsere Körpersprache (und Maulerei), doch nicht, weil sie wissen, was sie falsch gemacht haben, sondern weil wir alles andere als Freundlichkeit ausstrahlen und sie lieber zeigen, dass sie uns nichts Böses wollen.
Wenn du das Gefühl hast, dass dein Hund bei Begegnungen in Stress verfällt, unruhig oder aggressiv ist, dann kannst du dich gerne an uns wenden. Speziell um ein weiteres Lernen von unerwünschten Verhaltensweisen früh genug zu unterbinden, ist es wichtig, individuell an dieses Problem heranzugehen und dir professionelle Unterstützung zu suchen.
Und jetzt interessieren uns deine Erfahrungen zu diesem Thema! Lass auch gerne Fragen da, die wir sehr gerne beantworten!
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